Der Richtungsstreit im Hockey – Schönheitshockey oder Wettkampfhockey
Dr. Frank Haustein; Bearbeitungsstand: 01.01.2021
Vorbemerkung:
Im Oktober d. J. sandte mir Leon Schwandt seine am Institut für Sportwissenschaften der WWU Münster geschriebene Bachelorarbeit. Das Thema lautete: „Hockey im geteilten Deutschland: Die Sportförderung im Hockeysport in Ost- und Westdeutschland von 1969 – 1990“. Dort schrieb er:
„In der DDR war eine Teilnahme am Punktspielbetrieb verpflichtend. Es gab keinen reinen Freizeitsport. In der Bundesrepublik nahmen viele Mannschaften nicht am Punktspielbetrieb teil, da eine Teilnahme nicht verpflichtend war. Dennoch wurde Hockey auch im Westen als Wettkampfsport betrieben und Meisterschaften ausgespielt. Im Laufe des untersuchten Zeitraums fand eine Entwicklung hin zum Punktspielbetrieb statt und nur wenig Teams spielten ausschließlich Freundschaftsspiele. Der Unterschied zwischen DDR und Bundesrepublik ist also die in der DDR bestehende Verpflichtung am Punktspielbetrieb teilzunehmen. Diese lässt sich möglicherweise durch die politischen Systeme begründen.“
Die These, dass sich die frühe Orientierung auf den Wettkampfsport im DDR-Hockeysport „möglicherweise durch das politische System“ begründen lässt, ist wohl eher als reflexartige Antireaktion auf alles was in der DDR anders als in der BRD war zu deuten. Sie ist sicherlich vor allem der Unkenntnis von hockeyspezifischen Richtungskämpfen geschuldet,
Richtig ist, dass im DDR-Hockeysport viel früher als in der BRD in allen Altersklassen Wettspielsysteme zur Ermittlung von Meistermannschaften etabliert wurde.
Feldhockey Meisterschaften
DDR BRD
Herren seit 1949 seit 1950
Damen seit 1949 seit 1950
Männl. Jugend AK18 seit 1956 seit 1969
Weibl. Jugend AK 18 seit 1956 seit 1969
Knaben A AK14 seit 1967 seit 1977
Mädchen A AK 14 seit 1968 seit 1977
Hallenhockey Meisterschaften
DDR BRD
Herren seit 1951 seit 1962
Damen seit 1951 seit 1962
Männl. Jugend AK18 seit 1951 seit 1969
Weibl. Jugend AK18 seit 1951 seit 1969
Knaben A AK14 seit 1968 seit 1971
Mädchen A AK14 seit 1968 seit 1971
Die viel frühere Orientierung des DDR-Hockeysports auf ein entwickeltes Wettspielsystem zur Ermittlung von Meistermannschaften hatte allerdings nichts mit den unterschiedlichen politischen System zu tun, sondern hatte seine Ursache in einem über viele Jahre im Hockeysport der BRD geführten Richtungsstreit. In diesem Richtungsstreit standen sich zwei „Lager“ gegenüber. Einerseits diejenigen, die im Wettkampfhockey die Ideale eines schönen, ritterlich geführten Spieles gefährdet sahen und andererseits derjenigen, die im Wettkampfhockey das dem Sport immanente Ziel der Bestenermittlung befürworteten.
So gab es z. B. 1949 in Berlin-West den Vorschlag Schönheitsmeisterschaften auszuspielen. Sieger sollte nicht zwangsläufig das Team mit dem besseren Torresultat sein, sondern das Team welches „flüssiger kombiniert und technisch sauberer, schneller und fairer spielt“
(Amtliche Mitteilungen „Hockey, Eishockey, Tennis, Berlin 1.2.1949).
Dieses Prinzip keinen (Turnier)Sieger auszuspielen gab es übrigens auch lange Jahre im internationalen Hockey.
Ein Beispiel dafür ist das vom 14.5. bis 22.5.1966 in Hamburg ausgetragene Länderturnier von Nationalmannschaften. Die DHZ vom 11.5.66 berichtet, dass „getreu den Grundsätzen des DHB ein Turniersieger nicht ausgespielt wird.“
Begründet wurde das damit, dass damit den Spielen die Möglichkeit „unnötiger Härte genommen werden sollte und die Lust an unbekümmerter Spielfreude gesichert werden sollte“ (DHZ 25.5.1966, S. 235).
Als ab 1969 im Hockey neben den Olympischen Hockeyturnieren auch weitere internationale Meisterschaften ausgespielt wurden (ab 1969 Europacup der Landesmeister der Herren, im September 1970 die 1. Europameisterschaft der Herren im Feldhockey und im Oktober 1971 die 1. Weltmeisterschaft der Herren im Feldhockey) gab es in der DHZ nochmals Diskussionen zwischen „Konservativen“, also denjenigen, die gegen „Punktspiele“ waren und Anhängern von Meisterschaftswettbewerben. So äußerte sich „Gigi“ Richter in der DHZ vom 16.09.1970 wie folgt: „… Man brauchte keine Punkte, um die Turnierbesten festzustellen. Das Auftreten, das Können, die Klasse kennzeichneten unbestechlich die sportliche Geltung. Die mannhaften Kämpfer waren ritterliche Freunde und schenkten ihrem Hockey die wunderbare Atmosphäre auserlesener menschlicher Wertigkeit und Ästhetik. Das liegt im Ausdruck ‚exklusiv‘, nicht aber eine Klassifizierung, sondern die Summe von Mannhaftigkeit, Anstand und Ehrlichkeit in Verbindung mit Heiterkeit und Schmiegsamkeit des Wesens. …“ („Gigi“ Richter gehörte zur alten Hockeygarde. Er war 1928 Trainer der deutschen Hockey-Olympiamannschaft.)
Fazit:
Der Hockeysport in der DDR entschied sich tendenziell früher als der Hockeysport in der BRD für ein Hockey mit Wettspielsystem zur Ermittlung von nationalen Meistern in allen Altersklassen. Wenn sich also im DDR-Hockey früher als im BRD-Hockey die Idee des Wettspielhockey gegenüber der Idee des nicht bedingungslos dem Wettkampfgedanken untergeordneten Hockeyspiels durchsetzte hat das nichts mit politischen Rahmenbedingungen zu tun, sondern war einem hockeyspezifischem Grundsatzstreit geschuldet.
Auch international beschritt der Hockeysport hinsichtlich des auf Meisterschaften ausgerichteten Wettkampfsportes einen eigenen Weg. Erst mit dem ab 1969 ausgespieltem Europacup der Landesmeister Herren, der ersten Europameisterschaft der Herren im Feldhockey 1970 und der ersten Weltmeisterschaft im Feldhockey 1971 öffnete sich der Hockeysport für internationale Meisterschaften (neben den olympischen Spielen)
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Anmerkungen mit Blick auf internationale Meisterschaften im Hockey:
Im Hockey kam es –wie oben ausgeführt- erst vergleichsweise sehr spät zur Austragung internationaler Meisterschaften (Weltmeisterschaften und kontinentale Meisterschaften) ab 1970. In anderen Ballspielsportarten gab es Weltmeisterschaften bereits seit der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts, so im Eishockey seit 1920, im Fußball seit 1930 , im Handball seit 1938 und im Basketball seit 1950.
Mein Hockeyfreund Dr. Günther Conradi aus Leipzig ergänzte meine Ausführungen hinsichtlich des Richtungsstreits im Hockey um weitere Aspekte, die im Hockey dazu führten, dass man sich erst sehr späte internationalen Meisterschaften öffnete.
Da diese Aspekte für die konservative Ausrichtung des Hockeysports charakteristisch waren, möchte sie hier zumindest erwähnen:
Diese hier genannten Aspekte bedingten, dass das Interesse an solchen internationalen Meisterschaften wegen hoher Kosten und geringem öffentlichen Interesse bis dahin gering war. Ein mit entscheidender Aspekt für die Einführung internationaler Meisterschaften waren sicher auch Überlegungen des IOC das Teilnehmerfeld bei olympischen Spielen von 16 auf 8 Mannschaften zu reduzieren (Quelle: Zeitschrift „World Hockey“)
Im Feldhockey fanden internationale Meisterschaften somit erst ab 1970 statt. Bis dahin waren die olympischen Spiele im Hockey die einzige internationale Meisterschaft. Der Verzicht auf die Ermittlung von Turniersiegern und von internationalen Meisterschaften hatte übrigens zur Konsequenz, dass die Ermittlung der Teilnehmer an den olympischen Spielen und die Gruppeneinteilung bei den olympischen Spielen 1968 durch Losverfahren entschieden werden musste, da keine nachvollziehbare Weltranglisten existierten (Bericht über das FIH-Nominierungsverfahren auf der FIH Ratstagung am 4.2.1968 – s. Anhang)
Anhang:
zum Nominierungsverfahren zu den olympischen Spielen 1968 (Mexiko)
1968 Nominierungsmodus Olympia 68
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